"Sie müssen das Sprechen neu lernen", erklärt
die junge Krankengymnastin, die zu Karen kommt. Die Frau spricht ihr ein A vor, den Mund
weit geöffnet.
Sie sagte "a". Mit den Augen verfolgte ich ihren Mund. Ich wusste überhaupt
nicht, wie ich mein Gesicht bewegen sollte. Wieder sagte sie "a", wieder sagte
ich nichts. "A" wird gesprochen, indem man die Lippen weit aufmacht, die Zunge
auf den Unterkiefer legt und haucht", erklärte sie mir. Durch das Vorsprechen und
die Erklärung wusste ich in etwa, wie man ein "a" hervorbringen musste. Ich
öffnete den Mund, aber es kam kein Hauch heraus. Noch einmal - wieder nichts! Plötzlich
bekam ich doch ein schwaches "a" heraus.
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Nach dieser Anstrengung ist Karen so erschöpft, dass sie
einschläft. Es ist ihr schmerzlich bewußt, wie absurd ihr Los ist: Sie ist eine
Sprachwissenschaftlerin, der nur ein wenig graue Hirnmasse fehlt, damit sie einen Laut
produzieren kann.
In den nächsten Tagen versucht sie auch die anderen Vokale - und kombiniert sie mit
Konsonanten. Victor ist jeden Tag viele Stunden im Krankenhaus. Er schreibt ihr Übungen
auf: MA, MO, AMA, ANA, ONO,AHA. Nach etwa zwei Wochen kann sie Fragen mit ja und nein
beantworten, allerdings nur mit Mimik. Es ist wie ein
Ratespiel, doch manchmal dauert es sehr lange, bis Victor begreift, was Karen ihm
mitteilen will.
Vor dem Urlaub hatte ich den Ehering meiner Großmutter zum Engermachen zu einem
Juwelier gebracht. Nun wollte ich Victor unbedingt mitteilen, dass er den Ring abholen
sollte.
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