Das Erlernte muss endlos geübt werden - Ich wusste nicht
mehr, wie Laute gebildet werden und musste erst die Vokale und dann die Konsonanten
aussprechen lernen und üben. Bis zum "H" , dem für mich schwierigsten
Konsonanten - brauchte ich etwa zwei Jahre.
Wörter gibt es für alles, was sie sagen will, aber sie kann sie nicht finden. Sie
fühlt Leere. Daraus tauchen manchmal falsche Wörter auf, und Karen sagt Dinge, die sie
gar nicht meint. Victor verlässt sich auf ihre Mimik und versucht zu erraten, was sie
sagen will. Doch das dauert manchmal unendlich lange. Er ist dann oft gestresst, Karen
sehr gereizt. Wenn er schließlich das richtige Stichwort nennt, greift sie es erleichtert
auf. Erst dann löst sich die Spannung zwischen ihnen.
1986 ziehen die Smetaceks von Kiel nach Bremerhaven um. Dort hat Victor eine Stelle beim
Meeresforschungs- institut angetreten.
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Sein Forschungsgebiet sind die Lebewesen der Antarktis.
Also ist er immer wieder für Monate per Schiff unterwegs. Doch Karen nutzt auch diese
Zeiten, um Körper und Geist zu trainieren. Sie macht Gymnastik und studiert Bücher über
Hirnforschung, um zu verstehen, was in ihrem Kopf vorgeht. Ihr Wortschatz wächst.
Und dann fällt ihr etwas auf: Sie geht mit Ina, einer Studentin, die ihr sonst bei
Gymnastik und Sprachübungen hilft, zum Einkaufen. Karen probiert eine Bluse an, einen
Mantel. Doch als sie in den Spiegel schaut, ist sie ratlos. Was soll sie kaufen? All die
Jahre hatte Karen angenommen, ihr Denken sei unversehrt - sie könne ihre Gedanken nur
nicht ausdrücken. Nun merkt sie: Es gibt Denkprozesse, für die ein Mensch Sprache
braucht. Doch da sie keine Sprache hat, kann sie auch nicht mit sich selbst reden. Also
übt sie fest entschlossen weiter, bis sie wieder genügend Worte hat für die innere
Zwiesprache.
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