Jetzt kann sie anfangen, eine Idee zu verwirklichen, die sie schon lange hat. Bereits im Krankenhaus hatte sie angefangen, ein Tagebuch zu führen, quasi als Schreibübung. Allmählich wuchs es zu einem Erfahrungsbericht an, über ihr Leben nach dem Schlaganfall. Der Gedanke, diesen Bericht als Buch zu veröffentlichen, kam vier Jahre nach dem Unfall. Es soll anderen helfen. Also schreibt Karen - doch das braucht Vorbereitung: Ihr Tag beginnt mit zwei Stunden Gymnastik. Dann trainiert sie ihre Sprechmuskulatur: Sie artikuliert
einzelne Laute und Silben, dann komplizierte Sätze. So vorbereitet, kann ihr Gehirn leichter die Worte finden, die sie für ihr Buch braucht: Mühsam bringt sie Satz für Satz zu Papier.
Im Winter 1992, elf Jahre nach dem Unfall, nimmt Victor seine Frau zum ersten Mal mit in die Antarktis. Er ist als wissenschaftlicher Fremdenführer auf einem Kreuzfahrtschiff engagiert.

Er will Karen seine faszinierende
Forschungswelt zeigen, die sie bisher nur aus seinen Berichten und von Fotos kennt. Karen möchte mit auf eine Insel. Die Wege sind aber sehr abschüssig und steinig, für Gehbehinderte kaum geeignet. Außen an der Schiffswand hängt eine steile Treppe. Sie führt zum Beiboot, das unten auf den Wogen tanzt. Es weht
ein kalter antarktischer Wind. Victor trägt Karen huckepack hinunter. Matrosen in Tauchanzügen heben sie ins Boot und drüben an der Insel wieder heraus. Victor an der einen, einen Matrosen an der anderen Hand, klettert Karen über die Uferfelsen. Warm eingepackt in ihren roten Anorak bestaunt sie Eisberge, See-Elefanten und Pelzrobben. Und dann wird ein Traum wahr: Sie sieht Heerscharen von Pinguinen aus nächster Nähe.
Karen und Victor schauen sich an. Ihre Augen sagen es auch ohne Worte: Wir haben es zusammen geschafft!

Karen hatte schon in Kiel eine Selbsthilfegruppe (SHG) gegründet, um anderen Schlaganfall-Patienten Mut zu machen. In Bremerhaven kannte sie aber niemanden und wusste nicht, wie sie Kontakt zu Betroffenen herstellen sollte. Sie schaltete kurzerhand eine Lokalzeitung ein und bekam sofort 40 Anrufe. Die Gruppe besteht heute noch und trifft sich zweimal im Monat zur Gymnastik und zum Erfahrungsaustausch.

Ende 1998 hilft Victor ihr bei der Endfassung ihres Buches. Der Titel steht schon lange fest: "Wiederkehr aus der Unterwelt". In einer Buchhandlung lässt Karen sich ein Verlagsverzeichnis geben. Denn ihr Buch soll
gedruckt werden. Sie will weitergeben, was ihr geholfen hat.


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Bilder und Text mit freundlicher Genehmigung
von Readers Digest

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