Als Victor fragte, ob er noch etwas für mich tun könnte, bejahte ich. Es entspann sich folgendes Frage- und Antwort-Spiel: "Kann ich noch etwas für Dich tun?" fragte er noch einmal. Ich verneinte. Victor war verblüfft, dann verstand er. "Für irgendeinen Angehörigen?" Ich nickte. "Mutter?" Ich verneinte. "Schwester?" Ich schüttelte den Kopf. Nach einigem Nachdenken sagte er: "Oma?" Ich nickte zufrieden. "Etwas holen? Ich bejahte. "Aus einem Geschäft?" Wieder Nicken. Er nannte eine Reihe von Geschäften, immer schüttelte ich den Kopf. Ist es ein Schmuckstück?" fragte
er endlich, "Eine Kette? Ein Ring?" Ich strahlte ihn an, endlich hatte er das verstanden.

Victor tut alles, um Karen eine Freude zu machen. Das Klinikessen schmeckt ihr nicht. Also steht er eines Tages voller Stolz an ihrem Bett und zeigt ihr, was er für sie gekocht hat: Spargel mit Schinken und
Pellkartoffeln, ihr Lieblingsgericht. Karens Gedächtnis ist - bis auf die Worte - unversehrt. Sie kann auch laut lachen und so temperamentvoll weinen wie zuvor. Ihre Augen blitzen, drücken Stimmungen und Wünsche so deutlich aus, dass Victor sie dort buchstäblich ablesen kann.

Karens gelähmter Körper zwingt sie zu ungewohnter Passivität. Sie hasst es, immer auf dem Rücken zu liegen, die Augen an die Zimmerdecke gerichtet. Sie will sich aufsetzen, schafft es aber nicht. So geht es sieben Wochen lang. Dann, endlich, eine Veränderung.

Sie bekommt ein blutdrucksteigerndes Mittel, und ein neuer Krankengymnast hilft ihr beim Aufrichten. Als sie sitzt, wird ihr schwarz vor Augen. Der Mann kommt täglich wieder, hilft ihr immer wieder hoch. Während sie am Bettrand sitzt, versucht sie, ihre Gefühle auszudrücken.

Ihr fällt ein Satz ein: "Ich sehe mich als von den Toten wieder auferstanden", sagt sie. Aber sie kann die Worte kaum aussprechen und ist gleichzeitig erschüttert, dass plötzlich sogar ein ganzer Satz aus ihrem Mund kommt wo sie doch sonst um jeden Vokal kämpfen muss. Sie will den Satz aufschreiben. Nach
langem Überlegen schreibt sie in krakelig:" Toten, sehen". Erstmals schafft sie es, beim Schreiben ungefähr das auszudrücken, was sie denkt. Der Erleichterung darüber folgt allerdings schnell Ernüchterung: Der Satz bleibt eine Ausnahme.

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Bilder und Text mit freundlicher Genehmigung
von Readers Digest

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